Im Januar 2015 konnten wir von der Witwe von Kurt Grabert eine Bronzefigur des Starken Vinzenz erwerben. Diese Figur ist ein Muster der Brunnenfigur beim Schwörerhaus in Immenstaad.
Skulptur “Der starke Vinzenz” | Kurt Grabert 1983
Die Kleinskulptur (Höhe 23 cm) ist aus Bronzeguss, patiniert und auf Plinthe. Der Guss erfolgte in der Kunstgießerei Strassacker in Süßen.
Der Künstler Kurt Grabert
Kurt Grabert | 1922 - 1999
Kurt Graberts künstlerische Ausbildung fing bereits im jugendlichen Alter an (er besuchte die Höhere Fachschule für das graphische Gewerbe), fand jedoch durch Krieg und Gefangenschaft eine mehr als sechsjährige Unterbrechung. Erst nach dem Krieg konnte er schließlich sein Studium der Bildhauerei an der Akademie Stuttgart aufnehmen.
Der Künstler hat seine Doppelbegabung als Graphiker und Bildhauer sein Leben lang genutzt; viele Jahre arbeite er als Graphikdesigner für Industrieunternehmen und Zeitungen, zugleich aber entstanden in seinem Atelier in Hödingen bei Überlingen, seit 1975 dann in Göppingen immer auch plastische Werke.
In den beiden Jahrzehnten vor seinem Tod schuf Grabert noch immer bedeutende graphische Arbeiten (etwa einen über die Jahre immer weiter anwachsenden Graphik-Zyklus über Georg Elser und sein Attentat auf Hitler), konzentrierte sich jedoch vor allem auf die Plastik, wobei sich die Bronze als das ihm entsprechende Material erwies.
Zeichnung von Kurt Grabert aus dem Zyklus über Georg Elser
Zahlreiche Arbeiten zieren seither den öffentlichen Raum. In Immenstaad stehen zwei Werke von ihm: Das “Tanzende Pärchen” auf dem Kirchplatz in Kippenhausen und eben der hier gezeigte “Starke Vinzenz”. Graberts Plastiken findet man natürlich nicht nur in Immenstaad, sondern auch in Urach, Metzingen, Zweibrücken, Großgerau, Wäschenbeuren und sie sind auch an und in der Stadtkirche Göppingen zu sehen.
Dass Grabert, der bei seinen Freunden als ausgesprochen feinfühlig und lebensbejahend galt, dabei auch mit einer gehörigen Portion Humor gesegnet war, zeigt seine Skulptur für den Vorplatz des Rathauses in Ehingen an der Donau. Sie nimmt jegliche kommunalpolitische Planungsgewalt auf die Schippe, denn sie zeigt einen Narren mit Schellenkappe und trägt den Titel “Der Narr schaut in die Zukunft”.
Geschichten vom starken Vinzenz
Viele Alt-Immenstaader können sich noch an den Vincenz erinnern, den „schtarken Vincenz", der „Kraft für zwei g'het hot". Er gehörte zu den Schiffsleuten, die damals – um die Jahrhundertwende Lasten und Güter auf Segelschiffen, den „Lädinen", den See herauf- und hinunterfuhren. Zusammen mit seiner „Chrischtine" wohnte er „hinte obe" im Schwörerhaus.
Der Alt-Seehofwirt Alois Rebstein erinnert sich noch gut daran, wie oft „die Chrischtine mi’m Vatter beim Heue g’holfe hot". Vielleicht kennen manche auch noch Vincenz' besten Freund, den Mattes König, auch ein Schiffsknecht – „sellem, dem bim Kraut-Hoble immer d'NasetrepfIe in de Bottich g’floge sind!"
Viel und schmunzelnd erzählen die Alteingesessenen von ihm, manches ist - wie immer bei mündlich überlieferten Geschichten - widersprüchlich, aber einig sind sich alle: stark, sehr stark muss der Vincenz gewesen sein, und „en saumäßige Durscht hot’r au immer g'het". Und um den zu stillen, hat er bestimmt so manches Mal seine Kräfte eingesetzt.
Vincenz' Fasnet
An der Fasnet, wo die lmmenstaader sowieso für jeden Spaß zu haben waren (und es noch sind), ließ sich der Vincenz vor einen großen Wagen in ein Pferdekummet einspannen. Wie ein Floß zog er nun das Gefährt durch's ganze Dorf von Gaststall zu Gaststall. Heute müssen die Wirte Parkplätze für die Autos zur Verfügung stellen, damals eben Gastställe für die Pferde. Das Volk rannte mit und johlte und kreischte vor Vergnügen. Ging's den steilen Wattgraben rauf mal etwas langsamer, und Vincenz mußte etwas verschnaufen, feuerten die schon wein- und bierseligen Zuschauer den Vincenz an: „Los, zieg, des schaff’sch no! Glei bisch an d'r Kronel" Denn auf halber Höhe an der Krone gab’s genug Spender, die für die Zeche von Vincenz Belohnung, einem ganzen Eimer voll Bier, ja manchmal sogar zwei, aufkamen. Das lästige Aus- und Einschirren sparte sich der Vincenz: „SchteIlet de Eimer grad vor mi na! Den suf i so us!" Und im Geschirr trank, oder besser soff er seine Belohnung aus. Dann legte sich Vincenz unter dem Jubel der Zuschauer wieder ins Zeug und zog seinen Wagen weiter bis zum Hecht, der nächsten Wirtschaft. Dort war ein neuer Eimer Bier schon bezahlt und wartete nur auf seinen starken Abnehmer. Die Hauptstraße runter kam gleich der Hirschen, ein Stückchen weiter der „AdIer", am See warteten noch das „Schiff" und der „Seehof"; und alle hatten sie Gastställe, in denen der Vincenz nach getaner Müh und Arbeit etwas Bast und vor allem seinen Eimer Bier finden konnte.
War Vincenz besonders gut gelaunt und fühlte sich entsprechend stark, dann suchte er unter den Schaulustigen noch acht „Wiber un Kind" aus: „Schtieget inne! Ihr kennet no mitfahrel" Und unter ihrem begeisterten Jubel ging’s weiter durch's Dorf.
Noch ein Eimer!
„En große Durscht" muß der Vincenz mal wieder verspürt haben, als er sich im „Seehof" mit seinen Zechkumpanen zu einer Wette hinreißen ließ: Diesmal ging es um Wein, wieder einen ganzen Eimer voll. Um die Sorte mußte man sich übrigens nicht streiten, denn damals wurde fast nur der „Elbling, en recht sure Wi", am See angebaut. Für den Eimer „ElbIing" mußte Vincenz mit einem Weinzuber zum Grenzhof, der noch heute bestehenden Ziegelei auf der „württembergischen Seite" des Lipbachs, marschieren und ihn dort mit Ziegelsteinen vollladen. Früher waren die Ziegelsteine noch massiv und daher viel schwerer als die heutigen. Fünfzig davon mußte Vincenz in den Zuber packen. Die paßten auch grad rein. Zweifelnd warteten die Umstehenden ab: „Ob der den etzt verhebe ka?"
Mit einem kräftigen Ruck wuchtete Vincenz den schweren Zuber auf seinen Buckel und zog ab zum „Seehof". Bloß einmal, am Grenzbach-Brückle, durfte er absetzen. Aber Vincenz schaffte es, der Eimer Elbling war gewonnen. Was Wunder, wenn der Durst inzwischen so „saumäßig groß" war, dass er den Eimer gleich bis auf den letzten Tropfen leerte.
Der glücklichste Mensch
Seinen Tropfen brauchte der Vincenz, dann war er zufrieden. „I bin d’r gIickIischt Mensch, wenn i am Obed no en Zehner ho fir en Schnabs am nächschte Morge."
Der erste Wagenheber
Aber vergessen wir über Vincenz' Schwäche nicht seine Stärke. Schon manchem verzweifelnden Fuhrmann war der Schiffsmann zu Hilfe geeilt, wenn der seinen Wagen zum Beladen nicht an die gewünschte Stelle lenken konnte. „Kum, laß mi mol na! Dine Gäul ka'sch schtande lol" Und Vincenz packte das Fuhrwerk, das normalerweise zwei Pferde zogen, hinten an, ruckte einige Male rum, schon war es an den richtigen Platz gewuchtet.
Die schwache Kuh
Ähnlich kam er einmal einem Bauern, oder besser gesagt dessen Kuh zu Hilfe, die es kaum schaffte, den Pflug zu ziehen. Das viele Fluchen, Brüllen und Schlagen half wenig. Kopfschüttelnd sah sich der Vincenz die Schinderei an, dann spannte er kurzerhand das Bindvieh aus und schirrte sich selbst ein. „Un etzt war mi Feld om’s Rumgucke ferdigl" erinnert sich der Erzähler.
Das baufällige Schwörerhaus
Und wer weiß, ob Vincenz’ „Hoimet", das Schwörerhaus, noch stünde, hätte er es nicht selbst wieder gradgezogen!
Einer der früheren Besitzer war nämlich der - damals gar nicht unüblichen - Ansicht, aus Sparsamkeitsgründen könne man ruhig hin und wieder einen der vielen mächtigen Schwellenbalken herausziehen und ihn für „Nützlicheres", z. B. zum Heizen, verwenden. Verständlich, daß der Fachwerkbau sich zu neigen begann.
Von wem die rettende Idee stammte, das schiefe Haus mittels einer Seilwinde gerade zu ziehen, ist nicht mehr auszumachen. Erst einmal mußte ein besonders langes und starkes Seil aufgetrieben werden. Man fand’s. Eine starke Winde mußte noch beschafft werden. Man fand auch sie. Der alte „Birebom nebem Hus" schien kräftig genug, um als Halt und Verankerung zu dienen. Nun führten die einfallsreichen Helfer das Seil ums Haus herum und brachten es mit der Winde am Birnbaum fest.
Doch was hätten all ihre Vorbereitungen genützt ohne den Vincenz, den einzigen starken Mann, der die ausgeklügelte „Technik" in Bewegung setzen, d. h. stark genug ziehen konnte? Und während nun die „Erfinder" und viele Schaulustige drum herum standen und eifrig „Hau ruck!" und gute Ratschläge brüllten, stemmte sich der Vincenz gegen das Seil und zog und zog, so lange bis der Fachwerkbau tatsächlich wieder gerade stand. Und das tut er bis auf den heutigen Tag!
Nicht der Lohn allein!
Nicht nur für andere, auch für sich selbst trat der Vincenz ein. Mehr Lohn hatten die Schiffsknechte der Baggergesellschaft bekommen. Welche Freude! Nur für Vincenz war sie getrübt. „Geld fir mehr Lohn hond er, ab’r fir greßere Schufle un Karre itl" empörte er sich beim Vorstand. Denn mühsam mußte damals der Kies mit Schaufeln in Schubkarren geladen und auf’s Schiff gefahren werden. Ebenso wurde wieder entladen.
Vincenz und das Kanonenrohr
Auch die Konstanzer konnten einmal Zeugen von Vincenz übermenschlichen Kräften werden. Ein Wanderzirkus, der „Starke Herkules", hatte auf der Marktstätte ein Kanonenrohr aufstellen lassen. „Hundert Mark, meine Damen und Herren, hundert Mark für den, der dieses Kanonenrohr hochheben kann! Kommen Sie her! Versuchen Sie Ihr Glück! Wo ist der starke Mann, der diese 6 Zentner stemmt?" tönte der Zirkusdirektor in der festen Überzeugung, diese hundert Mark natürlich nie rausrücken zu müssen. Er konnte ja nicht ahnen, daß auch der Vincenz unter den Schaulustigen stand. Der aber fühlte sich noch nicht einmal angesprochen, nur sein Freund, der Mattes, erkannte die Gunst der Stunde: „Mensch, Vincenz, gang na! Des verhebschl Hondert Mark kriegsch num so schnell z’semmet!"
Nach einigem Drängen hatte er seinen starken Freund so weit. Vincenz trat vor, betrachtete das gußeiserne Stück von allen Seiten, „I brobier's emol!", packte fest mit beiden Händen zu und wuchtete es auf die Schulter. Das Siegesgeschrei der begeisterten Zuschauer spornte ihn an, und so zeigte er noch mehr von seinen Fähigkeiten. Mit dem Kanonenrohr auf der Schulter zog er über die Marktstätte, zur Rheinbrücke, auch noch drüber weg, ein Haufen begeistert johlenden Volks immer hinter ihm her, bis er am andern Ufer zu einem Garten kam. Dort hinein, in die gepflegten Rosenbeete, warf er das schwere Kriegsgerät.
Wer es wieder rausgeholt hat? Davon weiß niemand zu berichten, nur davon, daß der „Starke Herkules" nie mehr sein Kanonenrohr in Konstanz aufbaute. Übrigens: Manche erzählen sogar, das Kanonenrohr habe nicht 6, sondern 9 Zentner gewogen!
Ein freies Bett
Derbe Späße konnte der Vincenz aber auch bei sich selbst vertragen. So hänseIten ihn die anderen Schiffsknechte gern: „Du, Vincenz, da gopet einer obe bei deinre Chrischtine rum!"Der Vincenz ließ sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen: „Sell isch mir glich. Hauptsach, ’s Bett isch frei, wenn i kumm!"
Auch Geld geht durch den Magen
Im Alter sollte Vincenz noch zu Reichtum, allerdings nur von kurzer Dauer, gelangen. Er hatte schon immer bei der Lotterie mitgespielt, aber nie etwas gewonnen. Doch endlich lachte auch ihm das Glück: der stolze Gewinn von - angeblich! - 1800 Mark fiel auf ihn. Vincenz war nun schon älter, die schwere Arbeit der Schiffsknechte hatten Jüngere übernommen.
Mit so viel Geld konnte er es sich jetzt leisten, jeden Tag ins Wirtshaus zu gehen und sich „a Suntigsesse" zu bestellen. Er war nie kleinlich oder geizig gewesen, und um nicht allein dazuhocken und zu genießen, lud er alle, die an den Tischen drum herum saßen, großzügig ein: „lhr kennet mit mir esse, s'koscht eich nix, i zahl denn!" Und zur Bedienung gewandt: „Un mi'm Hond bring'sch a Kotlett!"
Wird's ihn viel gekümmert haben, daß schon nach kurzer Zeit nichts mehr von dem gewonnen Reichtum übrig und alles in Form von Koteletts, Würschtle, Braten, Spätzle, Kartoffelsalat und anderen schwäbischen Köstlichkeiten verputzt war?
Vincenz' Sohn
Wie gesagt, Vincenz war schon alt, ohne Christine und Nachkommen vielleicht auch etwas einsam, andere Schiffsleute waren nachgerückt. So auch der „Steffe" Pfaff, lmmenstaads ehemaliger Gemeindebüttel, der noch lange auf seinem Mopedle die Gemeindepost an die Haushalte verteilte.
Mit dem Schiffsbesitzer Bertold Meichle fuhr Stefan Pfaff oft nach Rorschach, um dort den bekannten „Rorschacher Sandstein" zu laden, der bei uns so häufig verwendet wurde, Als sie wieder einmal am Schweizer Ufer festmachten, erkundigte sich der dortige Steingrubenbesitzer bei Bertold Meichle nach unserem Vincenz. Der rief den Steffe herbei und meinte, indem er augenzwinkernd auf den jungen Burschen zeigte: „Des isch sin Sohn!" Voll guter Erinnerungen an den vermeintlichen Vater zückte der Schweizer seinen Geldbeutel: „Da, kriegsch fümf Mark! Geb se di’m Vatter mit eme schene Grueß vo mir!"
Die vier Evangelisten
Welche Achtung und Bewunderung der Vincenz auch bei der Dorfjugend besaß, soll diese Begebenheit zu guter Letzt zeigen.
Religion in der Schule (dem alten Ottobeurener Amtshaus, an dessen Stelle heute die Volksbank steht). Der Pfarrer fragt ab: „Nennt mir die vier Evangelisten Karle, du!" Der zwängt sich aus der Bank raus, kratzt sich verlegen am Kopf, in plötzlicher Erkenntnis strahlt er auf: „D'r Michl, d’r Heiner, no oin'r, und d’r Vincenz!" Denn damals gab’s in Immenstaad grad vier - Evangelische!
Seine letzten Jahre verbrachte Vincenz in Meersburg, wo er sich als Hoteldiener mit Kofferschleppen noch ein paar Mark dazu verdiente. Ganz haben ihn seine Kräfte also nie verlassen. Dort ist er auch begraben.
Besonders danken für ihre freundliche Hilfe möchte ich - in alphabetischer Reihenfolge - Adolf Dickreiter, Bertold und Gustav Meichle, Stefan Pfaff, Alois Rebstein und Frau, Xaver Schwörer und Frau, und Xaver Vittel.
Heide Budde und Illustrationen von Fred Rosenthal