50 Jahre evangelischer Gottesdienst in Immenstaad
Ein Artikel aus den Immenstaader Heimatblättern, Heft 8, aus dem Jahre 1984 von Karl Conradi
Es sind nur 50 Jahre, von denen hier zu berichten ist (nicht von 500 Jahren, die seit der Geburt von Martin Luther vergangen und derer 1983 weltweit gedacht wurde) - doch für eine junge evangelische Gemeinde ist auch ein halbes Jahrhundert ein Grund, darüber nachzudenken, wie sie geworden ist.
In einem Notizbüchlein, in welchem die erste Kirchendienerin, Frau Roberta Egger, Aufzeichnungen über die Gottesdienste niedergeschrieben hat, fand ich auf der ersten Seite mit großer Schrift geschrieben: >Gott ist Spezialist für unmögliche Dinge!< Schien es ihr damals etwas >Unmögliches< zu sein, dass die wenigen Evangelischen in Immenstaad regelmäßig zu einem Gottesdienst zusammen kommen könnten? - Auf jeden Fall ist einiges in diesen 50 Jahren geschehen, das zunächst einmal unmöglich schien und über die Wege Gottes staunen lässt!
Um die Jahrhundertwende (1900) gab es etwa 3 oder 4 evangelische Familien in Immenstaad. Jedenfalls besuchten 1908, einem Schreiben des evangelischen Pfarramtes Meersburg zufolge, ganze 3 evangelische Kinder die lmmenstaader Schule. Es waren die 3 >lutherischen Bollen<. Wollte man einen evangelischen Gottesdienst besuchen, so fuhr man mit dem Schiff nach Meersburg oder ging zu Fuß nach Fischbach.
Ganz allmählich vermehrte sich die Zahl der evangelischen Gemeindeglieder. Lm Jahre 1933 zählte man (lt. Statist. Landesamt) 62 Evangelische. Für diese wurde nun am Weihnachtsfest (25. Dezember 1933) erstmals im Rathaussaal ein evangelischer Gottesdienst gehalten. Von da an fand 14-tägig Gottesdienst in einem Schulzimmer, im Rathaussaal oder auch in der St. Michaelskapelle statt. 1941 wurde dann diese schöne, kleine Barockkapelle die Heimstätte für den Gottesdienst, die ein Zusammensein wie in einer Familie ermöglichte. Die Gottesdienste begannen um 14.00 Uhr. Der Pfarrer kam von Meersburg mit dem Schiff oder mit dem Fahrrad. Den ersten Gottesdienst hat wohl Pfarrer Wilhelm Waag gehalten, der von 1927-1935 Pfarrer in Meersburg gewesen ist, denn am 2. April 1891 wurden die Evangelischen in Immenstaad dem damaligen Pastorationsamt Meersburg zur kirchlichen Betreuung zugewiesen. Als das Meersburger Pastorationsamt im Jahre 1926 zur Pfarrei erhoben worden ist, wurde Immenstaad kirchlicher Nebenort der Pfarrei Meersburg.
Auf Pfarrer Waag folgte Pfarrer Hermann Jäger für 12 Jahre (1935-1947). In dem Notizbüchlein der Kirchendienerin Frau Egger findet sich aus dieser Zeit der Vermerk:
»14.11.1943 Bußtag - Gottesdienst ausgefallen wegen Einberufung des Pfarrers zur Wehrmacht.«
Indes blieb auch damals die kleine Gemeinde nicht ohne seelsorgerliche Betreuung. Pfarrer Dr. Naumann, damals Religionslehrer an den Höheren Schulen in Konstanz, erhielt den Auftrag, den Pfarrdienst in Meersburg zu versehen. Er tat diesen Dienst in der Zeit vom Herbst 1943 bis zur Rückkehr von Pfarrer Jäger im Sommer 1945. Fähre, Schiff und Fahrrad standen ihm dabei als Beförderungsmittel zur Verfügung. Nach der französischen Besetzung nur noch das Fahrrad. Der Gottesdienst in Meersburg fand um 9.30 Uhr statt, in Mühlhofen um 13.00 Uhr, in Grasbeuren um 15.00 Uhr und in Immenstaad um 17.00 Uhr; wenn in Grasbeuren kein Gottesdienst war, schon um 15.00 Uhr. In den ersten Wochen der französischen Besatzungszeit mussten die Gottesdienste ausfallen, da es für den Pfarrer überhaupt keine Beförderungsmöglichkeit gab. Evangelische Beerdigungen wurden in dieser „pfarrerlosen“ Zeit mehrfach durch katolische. Geistliche gehalten. Praktizierte Ökumene in schwerer Zeit!
Mit großer Dankbarkeit erinnert sich Pfr. Naumann an seine damaligen Helferinnen im Gottesdienst in der Michaeliskapelle, an Frl. Evert als Organistin und an Frau Egger als Kirchendienerin. Aber auch nicht minder an die kleine Schar derer, die auch damals treu zu ihrer evangelischen Kirche hielten.
Zum 1. November 1947 wurde ich in die Pfarrei Meersburg berufen. Die Nachkriegsjahre brachten dann durch die Zuweisung von Flüchtlingen und durch die Zuwanderung von Arbeitskräften für die lndustriewerke in Friedrichshafen einen beachtlichen Anstieg der evangelischen Bevölkerung. Als ich Ende Oktober 1947 mit meinem Vorgänger, Pfarrer Jäger, per Fahrrad eine Rundfahrt durch die damals 11 kommunale Gemeinden umfassende Pfarrei Meersburg machte, kamen wir auch nach Immenstaad. Wir kehrten bei Fräulein Evert und Frau Egger sowie bei der Familie des Kirchengemeinderates Friedrich Dürr ein. Mein Fazit nach dieser ersten Orientierungsfahrt war: Eigentlich müssten in dem gesamten Pfarramtsbereich drei Kirchen gebaut werden - in Mühlhofen, in Unteruhldingen und eben auch in Immenstaad. Aber wie sollte so etwas möglich sein? 1947!!! Da hatten wir noch andere Probleme: Wie werden wir satt? Wie kommen wir zu den Vorräten für den Winter? ... An Kirchen bauen ist nicht zu denken!
Und dann waren noch keine 10 Jahre verstrichen - da standen bereits die Kapelle in Unteruhldingen (1954) und die Kirche in Immenstaad (1956). Für eine Gemeinde von 300 Seelen (Ende 1954) war die kleine St. Michaelskapelle einfach zu klein geworden. Darum regte sich allenthalben das Verlangen nach einer eigenen Kirche. Erfreulich war das Verständnis, das wir bei der Gemeindeverwaltung für unser Anliegen fanden. Auf unsere Anfrage an das Bürgermeisteramt um Überlassung eines geeigneten Platzes für einen Kirchenbau, erhielten wir mit einem Schreiben vom 12. November 1954 die erfreuliche Zusage: > Der Gemeinderat hat in seiner letzten Sitzung beschlossen, Ihnen einen Platz von ca. 600 qm für den Bau einer evangelischen Kirche zu überlassen < Der Anfang war gemacht. Doch Grundstückserwerb ist selten eine Augenblicksangelegenheit. Nachdem dem guten Willen der Gemeindeverwaltung, uns ein geeignetes Grundstück zur Verfügung zu stellen, kein Erfolg beschieden war, wurde uns vorgeschlagen, die Grundstückssuche selber zu betreiben mit der Zusage, an die Kosten von Seiten der Gemeinde 5.000,- DM beizusteuern. Mancher Weg war zu gehen, Geduld war erforderlich und vor allem das, was wir »Fügung von oben« nennen. Es kam dann eigentlich ganz überraschend der Hinweis über das Bürgermeisteramt. Herr Gleichauf wäre willig, uns sein Grundstück zu überlassen. Und auch mit Herrn Langenstein wäre zu reden, denn das eine Grundstück reicht für einen Kirchenbauplatz nicht aus. Es war gerade ein Jahr verstrichen, als am 24. Oktober 1955 der Kaufvertrag mit den beiden Grundstücksbesitzern abgeschlossen werden konnte. Auch die nächsten Hürden wie Planen und Finanzieren konnten genommen werden. Ein halbes Jahr später, im April 1956, war Baubeginn.
An Christi Himmelfahrt (10. Mai 1956) legten wir bei strömendem Regen den Grundstein. Dekan Mono, Konstanz, hielt die Predigt. Unter dem Vordach des Kirchplatz-Nachbarn Schilt konnte man etwas im Trockenen stehen. Trotz Regen waren unsere Herzen wohlgemut. Über der Urkunde, die mit anderen Dingen in einer Kassette in den Grundstein eingemauert wurde, steht Jesu Zusage: >Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Endet<
In einem halben Jahr danach wurde die Kirche eingeweiht. An einem wunderschönen, sonnigen Herbsttag (21. Oktober 1956) zog die große festliche Schar von der St. Michaelskapelle zur neuen Kirche. Unser damaliger Landesbischof Julius Bender weihte sie. In seiner Festpredigt über das Evangelium von der Heilung des kranken Sohnes eines römischen Hauptmannes legte er uns ans Herz, wie Gott uns Menschen in seiner Liebe lockt, um uns durch Jesus Christus aus unserem Verderben zu retten.
Am 23. Dezember 1956 konnten zwei Glocken, die von Fabrikant Fritz Kopp, Neu-Ulm, gestiftet wurden, geweiht werden und 5 Jahre später, am Erntedankfest (1. Oktober 1961) fand die Orgelweihe statt.
Als die Kirche stand, wünschte die Gemeinde, dass sie nun jeden Sonntag am Vormittag Gottes Wort hören kann. Dies war durch die Mithilfe von pensionierten Pfarrern aus der schwäbischen Landeskirche und von Lektoren möglich. Bei der Einweihung der Kirche bezeichnete Pfarrer Schrägle von der Kirchengemeinde Friedrichshafen in seinem Grußwort die beiden Ruheständler Pfarrer Knebel und Pfarrer Schilling, die sich seit kurzem in Immenstaad niedergelassen hatten, als >eine lebendige Gabe< der Nachbarkirche, die zur Aushilfe im Pfarrdienst bereit seien. Bald darauf kam noch ein dritter aus Schwaben, Pfarrer Traub. Zahlreich waren und sind die Geistlichen und Lektoren, die in diesem halben Jahrhundert der Gemeinde mit der Verkündigung des Evangeliums gedient haben und dienen.
Das weitere starke Anwachsen der Gemeinde in den nächsten 10 Jahren um das Doppelte auf etwa 600 Evangelische - hatten den Wunsch lebendig werden lassen, Räumlichkeiten zur Entfaltung des Gemeindelebens zu schaffen. Vom September 1961 schon datiert die erste Notiz in dem Protokollbuch der Kirchengemeinderatssitzungen, dass Verhandlungen zum Erwerb eines Grundstückes für ein Gemeindezentrum geführt wurden. Es dauerte allerdings 7 Jahre, bis am 13. Oktober 1968 ein Gemeindehaus seiner Bestimmung übergeben werden konnte.
Es war begreiflich, dass sich mit dem Wachstum der Gemeinde, mit dem Vorhandensein von Kirche und Gemeindehaus, mit der Wohnung für einen Geistlichen, die zunächst den wechselnden Vikaren der Pfarrei Meersburg diente, das Verlangen wach wurde, einen eigenen Pfarrer zu haben und eine eigene Pfarrei zu bilden, um eine kontinuierliche Pflege und Förderung der Gemeinde zu ermöglichen. Schließlich waren es über 1000 Gemeindeglieder geworden. Das veranlasste denn auch die Kirchenleitung, diesen Wunsch der Gemeinde schrittweise zu erfüllen.
Wie sich allmählich ein reges Gemeindeleben entfaltet hat, kann nur noch angedeutet werden. Am 28. April 1957 hielt Frau Pfarrer Knebel den ersten Kindergottesdienst, und führte dieses Amt mit großer Treue viele Jahre.
1972 wurde in Immenstaad eine eigene Pfarrei errichtet, jedoch noch innerhalb der Gesamtkirchengemeinde Meersburg. Selbständige Kirchengemeinde mit eigenem Kirchengemeinderat wurde die Pfarrei zwei Jahre später (1974) mit etwa 1300 evangelischen Gemeindegliedern. Der erste Geistliche dieser Kirchengemeinde wurde am 1. Oktober 1974 Pfarrvikar Klaus Mono, welcher am 31. Oktober 1976 als Pfarrer der Gemeinde bestellt worden ist.
lm Jahre 1972 wurde unter der Leitung des Kirchenältesten Dr. Walter Neuland ein Singkreis ins Leben gerufen, der in der Gemeinde und über ihre Grenzen hinaus in Gottesdiensten und Konzerten >zur Ehre Gottes und zur Rekreation des Gemütes< (J. S. Bach) singt und spielt, wie dann auch der Posaunenchor, der 3 Jahre später im Frühjahr 1975 gegründet wurde und unter der Leitung von Herrn Gerhard Jehle steht.
Gruppen für Erwachsene, Jugendliche und Kinder, Bibelwochen, soziale Aktivitäten, Feste für Alt und Jung, um nur wenige Stichworte zu nennen, zeigen, dass aus dem Senfkorn, das mit dem ersten Gottesdienstvor 50 Jahren gesät worden ist, inzwischen ein Baum wurde, in dessen Zweigen die Vögel unter dem Himmel nisten, das heißt, dass auf vielfältige Weise Gottesdienst in seiner zweifachen Bedeutung geschieht: Gott dient, wirkt in der Gemeinde und die Gemeinde antwortet ihrerseits mit ihrem Dienst.
Dass Gott weiterhin diese Gemeinde, die heute 1850 Glieder zählt, mit Wachstum und geistlicher Kraft segnen möge, wünscht ihr einer, der für ein Vierteljahrhundert ihr bestellter Minister verbi divini war.
Karl Conradi
Pfarrer i. R., Ahausen